Wie ich Produktivität besiegt habe

Vor etwa drei Jahren bin ich bei meinen täglichen Dosen YouTube immer mehr auf Videos über Produktivität gestoßen, meistens Videos auf Englisch, z. B. von Ali Abdaal und Elizabeth Filips. Dadurch begann eine regelrechte Obsession bei mir. Ich weiß noch, wie ich täglich nach der Schule (damals war ich als Praktikant an einer amerikanischen Schule tätig) oft für mehrere Stunden in der Bibliothek saß und mir Notizen zu sämtlichen Videos von Ali Abdaal machte. Ich war fast süchtig nach neuen Tipps und Tricks, wie man produktiver wird, mehr an einem Tag schafft und am besten dabei noch viel Geld verdient. Als dann Ali Abdaal ankündigte, ein neues Buch über Produktivität zu veröffentlichen, habe ich es mir natürlich sofort vorbestellt.

Später (wieder in Deutschland) entschied ich dann, meinen eigenen YouTube-Kanal zu starten und stieß auf einen weiteren „Produktivitätsexperten“, diesmal im deutschsprachigen Raum: Niklas Steenfatt. Viele seiner Videos behandelten Inhalte, die ich bereits aus anderen Videos kannte, aber dennoch waren sie anders. Teilweise waren seine Ansätze etwas philosophischer, reflektierter und vielleicht einfach…deutscher?? Jedenfalls gefielen mir seine Inhalte ebenfalls sehr gut, und ich verfolgte seine Videos regelmäßig.

So vergingen mehrere Monate, meine ersten Schritte auf YouTube waren halbherzig und mein wiederaufgenommenes Studium vereinnahmte mich etwas. Was mir vor allem heute auffällt: viele der Produktivitätstips und Tricks waren zwar sicherlich gut, aber ich habe sie nie angewendet und die Obsession darüber hielten mich eher vom Arbeiten ab, vielleicht abgesehen von den Lerntips für Studierende, die sowohl Ali Abdaal, als auch Niklas Steenfatt behandelten.

Das änderte sich 2024 mit dem Commit Circle von Niklas Steenfatt – eine Online Community, die Niklas ins Leben gerufen hatte, in der es die Gelegenheit gab (und momentan immer noch gibt), sich mit anderen auszutauschen und sich gegenseitig anzuspornen. Das Konzept dahinter lautet: Accountability. Am Anfang gab es fast täglich und teilweise mehrmals am Tag sogenannte Fokussessions – im Grunde online Meetings, in die man sich einwählen und zusammen arbeiten konnte, jeder für sich an seiner eigenen gewählten Aufgabe, die einen irgendwie weiterbringt.

Ich war damals sehr mit einer Hausarbeit in Musikwissenschaft beschäftigt und die Fokussessions zahlten sich schnell aus – ich war bereits einen Monat vor der gegebenen Deadline fertig und konnte mich schnell anderen Dingen widmen.

Jetzt, nach etwas mehr als einem Jahr ist allerdings ziemlich die Luft raus in der Community. Es gibt zwar immer noch Sessions, die ausschließlich von anderen Mitgliedern gehostet werden, aber für mich persönlich haben die Sessions irgendwie ihren Effekt verloren. Vor kurzem war es auch nur noch eingeschränkt möglich, eigene Sessions zu hosten – man brauchte beispielsweise eine bezahlte Version von Zoom, um länger als eine halbe Stunde hosten zu können. Mittlerweile scheint das Problem wieder behoben zu sein und man kann direkt in der Community hosten, ohne ein Zeitlimit.

Das eigentliche Problem aber ist, dass die Zeiten der Sessions mir persönlich nicht immer passen, und selbst wenn ich mal meine eigene Session hoste, so bin ich davon abhängig, dass sich andere Mitglieder zu dieser Session anmelden, da kann ich genauso gut auch eigenständig arbeiten, und genau das tue ich, meistens in der Bibliothek. Als Student habe ich das große Privileg, fast rund um die Uhr, sieben Tage die Woche an einen Ort gehen zu können, an dem gearbeitet wird. Selbst wenn ich mal der einzige in der Bibliothek sein sollte (was quasi nie der Fall ist), die Bibliothek ist ein Ort zum arbeiten, und – nochmal – genau das tue ich.

Ich gehe vielleicht nicht sieben Tage die Woche in die Bibliothek, aber fünf oder sechs mal ist doch auf jeden Fall drin. Der Vorteil gegenüber den Fokussessions: ich kann hin wann ich will, ich kann gehen wann ich will und muss mich nicht mit anderen Leuten austauschen, wie es gelaufen ist. Es läuft eben, wie es läuft, und wenn es mal nicht so gut läuft, dann ist das halt so, dafür brauche ich weder Mitgefühl, noch irgendwelche Tipps. Für mich ist es schon ein riesiger Erfolg, wenn ich mich in die Bibliothek setze und ein zwei Dinge erledigt bekomme.

Manchmal – so auch jetzt, während ich diesen Blogartikel schreibe – arbeite ich von zu Hause. Im Prinzip bin ich gar nicht Ortsgebunden, was meinen Arbeitsmodus angeht, das wäre auch (meiner Meinung nach) völlig absurd. Es kommt auch mehr auf die eigene Konzentrationsfähigkeit an als irgendeinen technischen Schnickschnack, dafür braucht es genauso wenig Brain.fm wie irgendein Supplement, das die Konzentrationsfähigkeit steigern soll. Das heißt natürlich nicht, dass diese Dinge nicht wirken, es klingt mir nur zu sehr nach Symptombekämpfung.

Wer seine Konzentrationsfähigkeit wirklich langfristig steigern will, der sollte – neben ausreichend Schlaf, gesunder Ernährung und Bewegung – Meditation praktizieren. Ich selbst meditiere mindestens einmal am Tag seit meinem ersten Vipassana Retreat (über den ich vielleicht bald auch einen Artikel schreibe) und die Effekte sprechen für sich: ich Arbeite wieder gerne und bekomme die Dinge auch erledigt.

Im großen und ganzen habe ich aufgehört, mich zu sehr um Produktivität zu kümmern, denn paradoxerweise lenkt mich das Fixieren darauf vom wesentlichen (der Arbeit) ab. Ich möchte damit nicht sagen, dass die Inhalte von beispielsweise Ali Abdaal und Niklas Steenfatt schlecht sind, das sind sie nämlich nicht, ich schau solche Videos immer noch, aber die Obsession über Produktivität ist kontraproduktiv – weniger ist mehr. Das oben erwähnte Buch von Ali Abdaal finde ich dahingehend ebenfalls sehr gelungen, weil es darin weniger darum geht, möglichst viel zu erledigen, sondern die Dinge zu machen, die einem wirklich wichtig sind.

Bis vor kurzem hatte ich noch vor aus dem Commit Circle von Niklas Steenfatt ganz auszutreten, weil er mir nichts mehr brachte und seitens Niklas nichts mehr kam. Vor einer Woche wurde aber intern der Relaunch des Commit Circles mit neuen Inhalten angekündigt und ich entschied mich, dem Ganzen noch eine Chance zu geben, vielleicht kommt dann hier nochmal ein kurzes (oder längeres) Update darüber.

Wenn du bis hier hin gelesen hast, dann bedanke ich mich für deine kostbare Zeit und Aufmerksamkeit! Lass mich gerne deine eigenen Gedanken zu dem Thema in den Kommentaren wissen.

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